Neue Entscheidungen und Urteile zur Trunkenheit

Der Bundesgerichtshof hat sich in zwei interessanten Entscheidungen mit der häufigen Problematik einer Alkoholisierung des Täters auseinandergesetzt. Diese Entscheidungen zeigen deutlich auf, dass die Thematisierung eines Alkoholkonsums gut durchdacht werden will.

In einer begrüßenswerten Entscheidung des 2. Strafsenats vom 22.6.2021 wurde ein Urteil wegen eines versuchten Totschlags aufgehoben unter anderem vor dem Hintergrund, dass das Landgericht sich nicht ausreichend mit der festgestellten Blutalkoholkonzentration zum Tatzeitpunkt auseinandergesetzt bzw. diese nicht hinreichend gewichtet hat.
Bei der angegriffenen Entscheidung bemängelt der Bundesgerichtshof insbesondere, dass das zuständige Landgericht der Blutalkoholkonzentration -immerhin 2,3 Promille- lediglich eine geringe indizielle Bedeutung zugemessen hat.
Das Landgericht hat sich durch einen Sachverständigen beraten lassen, welcher aus fachmedizinischer Sicht das Verhalten des Angeklagten unter anderem untersuchte und zu dem Schluss kam, dass das Verhalten des Angeklagten nicht persönlichkeitsfremd war, der Angeklagte sich nicht zu einer Spontantat hat hinreißen lassen und aufgrund seiner Alkoholgewöhnung insgesamt zielführend handelte. Insoweit käme lediglich eine Enthemmung des Angeklagten in Betracht, nicht jedoch eine krankhafte seelische Störung und einer damit einhergehenden erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit. Eine Strafmilderung wurde damit abgelehnt.

Der Bundesgerichtshof hebt in der Entscheidung jedoch nochmals hervor, dass die hohe Blutalkoholkonzentration von hier 2,3 Promille dem Tatrichter Anlass gibt, sehr genau das Vorliegen einer krankhaften seelischen Störung und einer damit einhergehenden erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit zu prüfen. Der Bundesgerichtshof verweist insoweit noch mal auf seine frühere Rechtsprechung, dass es zwar keine statistischen Erfahrungen darüber gibt, jedoch in der Regel bei einer solchen Blutalkoholkonzentration von einer verminderten Steuerungsfähigkeit ausgegangen werden muss und insoweit der Blutalkoholkonzentration ein besonderes Gewicht beizumessen ist. Der Bundesgerichtshof hebt damit nochmals deutlich die Wertigkeit der Blutalkoholkonzentration im Zusammenhang mit der Abwägung der weiteren Kriterien deutlich an. Die hohe Promillezahl kann also nicht einfach mit dem Fehlen von anderen Auffälligkeiten und einem zielgerichteten Handeln weggewischt werden.

Der Senat weist daher nochmals darauf hin, dass aus planvollem und situationsgerechtem Vorgehen alleine keine tragfähigen Schlüsse in Bezug auf Steuerungsfähigkeit des Täters gezogen werden können. Es sei zudem zu beachten, dass bei alkoholgewöhnten Tätern das äußere Leistungsverhalten und die innere Steuerungsfähigkeit durchaus weit auseinanderfallen können und sich bei Alkoholikern eine gewisse Übung im Hinblick auf die Motorik zeigen würde.
Vor diesem Hintergrund hat der Gerichtshof die Entscheidung des Landgerichts aufgehoben und zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen, bei der ein neuer Sachverständiger nochmals die Voraussetzungen des § 21 StGB und damit eine Betracht kommende mögliche Strafmilderung zu prüfen hat. Ein für die Verteidigung schönes Urteil, welche die Bedeutung der festgestellten Promillezahl anhebt und eine günstigere Strafe ermöglicht.

In einer interessanten Entscheidung des 4. Strafsenats vom 10.6.2021 setzt sich dieser unter anderem damit auseinander, ob bei einer selbstverschuldeten Trunkenheit die Versagung einer Strafrahmenverschiebung in Betracht kommt. Der Bundesgerichtshof bejaht diese Frage abermals, gibt jedoch zu bedenken, dass die Strafmilderung im Falle der selbstverschuldeten Trunkenheit nicht stets zu versagen ist. Es sei vielmehr Sache des Tatgerichts zu bewerten, ob das Gewicht der selbstverschuldeten Trunkenheit so schwer wiegt, um die aufgrund der erheblich verminderten Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit verringert Tatschuld aufzuwiegen. Dieses erscheint mir in vielen Fällen problematisch, da dem wenig zugeneigten Angeklagten nunmehr vermehrt vorgehalten wird, er habe die Trunkenheit selbst verschuldet und die Strafe sei daher nicht zu mildern.

Sie sehen, dass die Trunkenheit nicht in jedem Fall zu einer geringeren Strafe führt oder führen muss. Teilweise versuchen Gerichte bewusst die Verteidigungslinie der Trunkenheit auszubremsen, um gerade nicht geringere Strafen aussprechen zu müssen.

Beide Entscheidungen zeigen das weite Feld der Alkoholproblematik im Rahmen der Hauptverhandlung, aber auch die Möglichkeiten der Verteidigung auf das Urteil gewinnbringend Einfluss zu nehmen. Auch in der Strafmaßverteidigung lassen sich an dieser Stelle beträchtliche Weichen zu Ihren Gunsten stellen.

Timo Scharrmann

Rechtsanwalt & Strafverteidiger
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